33
Die Behandlung einer Verletzung kann schmerzhafter sein als die Verwundung selbst. Lasst nicht zu, dass sich eine Wunde entzündet, weil ihr nicht bereit seid, den kurzen Schmerz zu erdulden.
Floriana Nicus,
Suk-Ärztin der Bene Gesserit
Murbella spazierte mit Janess – nun Ehrwürdige Mutter Janess – durch die steinigen Reste der toten Gärten rund um die Festung. Sie blieben an einem ausgetrockneten Bachbett stehen, dem der dramatische Klimawandel auf Ordensburg alle Feuchtigkeit geraubt hatte. Die rund geschliffenen Steine waren eine deutliche Erinnerung daran, dass hier einst Wasser geflossen war.
»Du bist jetzt meine Stellvertreterin, nicht mehr meine Tochter.« Ihr war klar, dass diese Worte in den Ohren der jungen Frau grob klingen mussten, doch Janess zuckte mit keiner Wimper. Beide Frauen wussten, dass von nun an eine entsprechende emotionale Trennung eingehalten werden musste, dass Murbella nun die Mutter Befehlshaberin war und nicht mehr die Mutter. »Sowohl die Bene Gesserit als auch die Geehrten Matres haben versucht, die Liebe zu verbieten, aber sie können nur den Ausdruck verbieten, nicht den Gedanken oder das Gefühl. Mutter Oberin Odrade wurde von ihren Schwestern als Ketzerin beschimpft, weil sie an die Macht der Liebe glaubte.«
»Ich verstehe, Mutter ... Befehlshaberin. Jeder von uns muss um der neuen Ordnung willen etwas aufgeben.«
»Ich werde dir das Schwimmen beibringen, indem ich dich in ein tosendes Gewässer werfe – eine Metapher, die, wie ich fürchte, hier nicht mehr lange Geltung haben wird. Ich verlasse mich darauf, dass du schnellere Fortschritte machst als jede unserer Fraktionen. Es waren sechs Jahre des Kampfes nötig, um die beiden Seiten in die Mitte zu ziehen, damit die Frauen lernen, miteinander zu leben. Grundsätzliche Veränderungen werden Generationen brauchen, aber wir haben schon große Fortschritte gemacht.«
»Duncan Idaho hat das als ›Kompromiss mit vorgehaltener Waffe‹ bezeichnet«, zitierte Janess.
Murbella hob die Augenbrauen. »Hat er das?«
»Ich kann dir die historischen Aufzeichnungen zeigen, wenn du möchtest.«
»Eine treffende Beschreibung. Die Neue Schwesternschaft ist noch nicht die rund laufende Maschine, auf die ich gehofft hatte, aber immerhin habe ich die Schwestern dazu gebracht, sich nicht mehr gegenseitig umzubringen. Jedenfalls die meisten von ihnen.«
Sie dachte kurz an Janess' alte Nemesis, Caree Debrak, die nur wenige Tage, bevor sie sich der Agonie hätte unterziehen sollen, aus dem Akoluthenhaus verschwunden war. Caree hatte die Konvertierung als Gehirnwäsche verleumdet und sich in der Nacht davongestohlen. Nur wenige Schwestern vermissten sie.
»Unter normalen Umständen«, fuhr Murbella fort, »könnte ich über den Umstand hinwegsehen, dass einige Geehrten Matres meine Herrschaft nicht akzeptieren. Meinungsfreiheit. Aber nicht jetzt.«
Janess richtete sich kerzengerade auf und zeigte, dass sie für diesen Einsatz bereit war. »Abtrünnige Geehrte Matres beherrschen immer noch einen Großteil von Gammu und ein Dutzend weitere Welten. Sie haben die Soostein-Produktion auf Buzzell angegriffen und ihre schlagkräftigsten Truppen auf Tleilaxu zusammengezogen.«
Im Laufe des vergangenen Jahres hatte die Mutter Befehlshaberin eine Streitmacht aus Schwestern zusammengestellt und sie in den kombinierten Kampftechniken der Geehrten Matres und der Bene Gesserit ausbilden lassen. Die Bande zwischen den beiden Gruppierungen ließen sich am besten im Feuer eines gemeinsam ausgetragenen Kampfes stählen. »Jetzt wird es Zeit, meinen Soldatinnen ein Ziel zu geben.«
»Schluss mit der Ausbildung und ab in den Kampf«, sagte Janess.
»Noch ein Zitat von Duncan?«
»Nicht dass ich wüsste ... aber ich glaube, er würde es ähnlich ausdrücken.«
Murbella lächelte trocken. »Ja, das würde er wahrscheinlich. Wenn sich die Abtrünnigen uns nicht anschließen, müssen sie eliminiert werden. Ich lasse nicht zu, dass sie uns Dolche in den Rücken stoßen, während wir uns auf die eigentlichen Schlachten konzentrieren.«
»Sie hatten jahrelang Zeit, sich zu verschanzen, und ohne eine schreckliche Schlacht werden sie nicht zu besiegen sein.«
Murbella nickte. »Größere Sorgen bereitet mir gegenwärtig die Dissidenten-Enklave hier auf Ordensburg. Sie schmerzt mich wie ein Holzssplitter unterm Fingernagel. Bestenfalls tut es höllisch weh, schlimmstenfalls entzündet er sich und fängt an zu eitern. Dieser Splitter muss auf jeden Fall gezogen werden.«
Janess kniff die Augen zusammen. »Ja, sie sind uns viel zu nah. Selbst wenn die Dissidenten von Ordensburg nicht offen gegen uns vorgehen, weisen sie außenstehende Beobachter doch auf eine Schwachstelle hin. Diese Lage erinnert an eine weitere kluge Bemerkung aus Duncan Idahos erstem Leben. In einem Bericht, den er einreichte, als er bei den Fremen auf Dune lebte, schrieb er: ›Ein Leck in einem Qanat ist eine nur langsam wirkende, aber fatale Schwachstelle. Das Leck im Bewässerungssystem zu finden und zu stopfen, ist eine schwierige Aufgabe, die aber geleistet werden muss, um das Überleben der Gesamtheit zu sichern.‹«
Die Mutter Befehlshaberin war gleichzeitig stolz und belustigt. »Wenn du so viel aus Duncan Idahos Schriften zitierst, solltest du nicht vergessen, selber zu denken. Dann werden eines Tages andere dich zitieren.« Ihre Tochter ließ sich ihren Rat durch den Kopf gehen und nickte dann. »Du wirst mir helfen, das Leck im Qanat zu stopfen«, fügte Murbella hinzu.
* * *
Die Bashar der Hauptstreitkraft der Neuen Schwesternschaft, Wikki Aztin, wandte viel Zeit und ihre besten Mittel darauf, Janess für ihren ersten schwierigen Einsatz zu trainieren. Wikki hatte viel Humor und immer eine Anekdote parat. Sie war eine gebeugte Frau mit schmalem Gesicht und strotzte nur so vor Energie. Sie litt an einem angeborenen Herzfehler und durfte sich nicht der Agonie aussetzen; also war Wikki nie Ehrwürdige Mutter geworden. Stattdessen war sie der militärischen Abteilung der Schwesternschaft zugeteilt worden und hatte dort Karriere gemacht.
Vor dem Unterstand der Mutter Befehlshaberin auf dem abgelegenen Ausbildungsgelände erhellten Scheinwerfer die Kampfthopter, die Janess für den Angriff am nächsten Tag bereit machte.
Hausputz hatte Murbella es genannt. Diese Rebellen hatten sie verraten. Im Gegensatz zu Außenseitern, die nie von den Lehren der Schwesternschaft gehört hatten, oder fehlgeleiteten Frauen, die nichts von der Bedrohung durch den nahenden Feind wussten. Murbella hasste die Bastionen der Geehrten Matres auf Buzzell, Gammu und Tleilax, aber diese Frauen wussten es nicht besser. Doch was die Dissidentinnen betraf – ihren Verrat empfand sie als wesentlich schlimmer. Das war ein persönlicher Affront.
Als Janess außer Hörweite war und ihren Pflichten nachkam, gesellte sich Murbella zur Bashar. Wikki sagte: »Wussten Sie, dass einige Schwestern Wetten gegen Ihre Tochter abschließen, Mutter Befehlshaberin?«
»Das habe ich schon vermutet. Sie sind der Ansicht, dass ich ihr so kurz, nachdem sie Ehrwürdige Mutter geworden ist, viel zu viel Verantwortung übertragen habe. Aber das wird nur dazu führen, dass sie sich umso mehr anstrengt.«
»Ich habe gesehen, wie sie sich mit neuem Eifer in die Arbeit stürzt, um alle Zweifel zu widerlegen. Sie hat Ihren Kampfgeist, und sie verehrt Duncan Idaho. Da alle Augen auf sie gerichtet sind, freut sie sich auf eine Gelegenheit, sich zu beweisen, den anderen mit gutem Beispiel voranzugehen.« Wikki schaute hinaus in die Nacht. »Sind Sie sich ganz sicher, dass ich bei keinem der morgigen Angriffe mitfliegen soll? Das Einsatzgebiet ist nicht weit entfernt, und es ist zwar ein kleiner Einsatz, aber ein sehr wichtiger. Und ein bisschen Übung wäre ... erfreulich.«
»Ich brauche Sie hier. Sie müssen hier aufpassen. Während meiner Abwesenheit könnte jemand in der Festung einen Staatsstreich versuchen.«
»Ich dachte, Sie hätten die Schwestern dazu gebracht, ihre Meinungsverschiedenheiten beizulegen.«
»Es ist ein sehr labiles Gleichgewicht«, seufzte Murbella. »Manchmal wünschte ich, der wahre Feind würde uns angreifen – und die Frauen dadurch zwingen, alle auf einer Seite zu kämpfen.«
* * *
Am nächsten Morgen brach Murbella mit ihrer Schwadron auf. Janess flog gemeinsam mit ihr im Führungsthopter über die Oberfläche des Planeten. Trotz ihrer Ausbildung und des Vertrauens, das ihre Mutter in sie setzte, war Janess immer noch unerfahren, noch nicht bereit, selbst den Befehl zu übernehmen.
Nachdem Murbella jahrelang ein Auge zugedrückt hatte, konnte die Mutter Befehlshaberin Deserteure und Nörgler nun nicht länger dulden. Selbst in den entlegenen Regionen war die Siedlung eine zu große Schwachstelle, ein Anziehungspunkt für potenzielle Saboteure und auch ein möglicher Brückenkopf für eine größere Streitmacht abtrünniger Geehrter Matres von anderswo.
Für Murbella gab es keinen Zweifel, was zu tun war, und auch kein Mitleid. Da die Neue Schwesternschaft dringend fähige Kämpfer brauchte, würde sie den Deserteuren vorschlagen, in den Schoß der Gemeinschaft zurückzukehren. Sie machte sich allerdings keine großen Hoffnungen, dass sie sich darauf einlassen würden. Diese Frauen hatten sich bereits als Feiglinge und Nörgler erwiesen. Sie fragte sich, was Duncan in einer derartigen Situation getan hätte.
Als sich die Schwadron der Position der Siedlung näherte, meldete Janess, dass sie Wärmesignaturen und Funksendungen empfing. Unverzüglich befahl Murbella sämtlichen Kampfthoptern, die Schilde zu aktivieren, falls die Rebellen mit Waffen, die sie aus den Beständen von Ordensburg gestohlen hatten, auf sie schießen sollten.
Doch als sich Janess und ihre taktischen Offiziere bei einem ersten Überflug in großer Höhe einen Überblick über das Gebiet verschafften, konnten sie in der Umgebung keine gegnerischen Fluggefährte oder militärisches Gerät entdecken, sondern lediglich einige hundert leicht bewaffnete Frauen, die sich unten im dichten Nadelwald zu verstecken versuchten. Obwohl einige kleine Schneeflächen für Unregelmäßigkeiten in der Wärmeverteilung auf dem Gelände sorgten, waren die menschlichen Körper so deutlich zu erkennen wie Leuchtfeuer.
Murbella wechselte die Darstellung auf optische Sicht und ließ den Blick über die Deserteure schweifen, von denen sie viele wiedererkannte. Manche waren seit Jahren verschwunden, schon vor der Zeit, als Murbella eine ihrer Hauptbefürworterinnen, Annine, hatte hinrichten lassen.
Sie wandte sich über die Lautsprecher des Thopters an die Rebellen unter ihr. »Hier spricht Mutter Befehlshaberin Murbella, und ich bringe euch einen Olivenzweig. In der Nachhut unserer Formation haben wir Transportthopter, die in der Lage sind, euch alle zurück zur Festung zu bringen. Wenn ihr die Waffen niederlegt und kooperiert, gewähre ich euch Amnestie und die Möglichkeit einer Umschulung.«
Sie erkannte Caree Debrak am Boden. Die verbitterte junge Frau richtete ein Farzee-Gewehr auf sie. Es verschoss winzige glühende Funken, und die schnellen, geschmolzenen Projektile prallten, ohne Schaden anzurichten, an den Schilden des Thopters ab.
»Was für ein Glück, dass das keine Lasgun war«, sagte Murbella.
Janess sah sie erstaunt an. »Lasguns sind auf Ordensburg verboten.«
»Vieles ist verboten, aber nicht jeder hält sich daran.« Murbella verzog verärgert den Mund und sprach in schärferem Ton über die Lautsprecher. »Ihr habt eure Schwestern in einer schwierigen Zeit im Stich gelassen. Gebt die Uneinigkeit auf und kehrt zu uns zurück. Oder seid ihr Feiglinge, die sich nicht trauen, sich unserem wahren Feind entgegenzustellen?«
Caree schoss erneut mit dem Farzee-Gewehr, und weitere geschmolzene Projektile prallten an den Schilden des Thopters ab.
»Zumindest haben wir nicht den ersten Schuss abgefeuert.« Janess schaute zu ihrer Mutter hinüber. »Meiner Meinung nach, Mutter Befehlshaberin, ist es Zeitverschwendung, mit ihnen zu verhandeln. Mit ein paar gut platzierten Lähmpfeilen könnten wir sie betäuben, entwaffnen, zurück in die Festung schaffen und dort versuchen, sie wieder auf unsere Seite zu bringen.« Unten griffen viele der Rebellinnen zu den Waffen und feuerten wirkungslose Schüsse auf die Streitmacht der Schwesternschaft ab.
Murbella schüttelte den Kopf. »Wir werden sie nie zur Vernunft bringen – und wir werden ihnen nie wieder vertrauen können.«
»Sollten wir es also mit einem begrenzten militärischen Einsatz probieren – gerade genug, um ihnen richtig Angst einzujagen? Das wäre für unsere Schwadron eine gute Übung im Feld. Wir setzen die Soldatinnen ab und lassen sie die Abtrünnigen angreifen und demütigen. Wenn wir sie im Nahkampf nicht besiegen können, haben wir auch keine Chance gegen die wahren Huren, die jahrelang Zeit hatten, ihre planetare Verteidigung aufzubauen.«
Als sie sah, wie die Deserteure mit den Gewehren auf sie feuerten, wurde Murbella noch wütender. Ihre Stimme klang, als würde Glas brechen. »Nein. Damit würden wir unsere loyalen Schwestern nur unnötig gefährden. Ich will hier keine einzige Kämpferin verlieren.« Sie erschauderte bei der Vorstellung, welchen Schaden diese Frauen anrichten konnten, wenn sie sich nur zum Schein ergaben und dann von innen weiter ihr Gift verbreiteten. »Nein, Janess. Sie haben sich entschieden. Wir können ihnen nie mehr vertrauen. Nie mehr.«
In den Augen ihrer Tochter blitzte Verständnis auf. »Sie sind nicht besser als Insekten. Sollen wir sie vernichten?«
Unten liefen weitere Dissidenten durch den Wald und kamen dann mit größeren Waffen zwischen den Bäumen hervor.
»Deaktiviert die Schilde und eröffnet das Feuer!«, rief Murbella in das Komsystem, das die Kampfthopter miteinander verband. »Werft Brandbomben ab! Lasst den Wald in Flammen aufgehen!« Ein Offizier in einem anderen Thopter wandte ein, dass das eine zu harte Reaktion sei, aber Murbella schnitt der Schwester das Wort ab. »Hier wird nicht debattiert.«
Ihre handverlesene Schwadron eröffnete das Feuer, und nach dem lodernden Blutbad blieben keine Überlebenden übrig. Es bereitete der Mutter Befehlshaberin kein Vergnügen, aber damit hatte sie bewiesen, dass sie wie ein Skorpion zustoßen würde, wenn man sie reizte. Sie hoffte, dass dieses Wissen künftig aller Unzufriedenheit und Opposition einen Riegel vorschob.
»Dies soll ein Exempel sein, an das man sich noch lange erinnern wird«, sagte sie. »Ein innerer Feind kann genauso großen Schaden anrichten wie der äußere.«